Von T. Muth
(März 2012)
Das nächste Ziel meiner Balkanreise trägt den klangvollen und vielversprechenden Namen „Montenegro“ – schwarzer Berg. Eine faszinierende Küste mit ansehnlichen kleinen Städten, guten Restaurants und unvergesslichen Sonnenuntergängen.
Meine Fahrt in dieses unbekannte Feriendomizil war jedoch mehr als kompliziert. Ich trat meine Weiterreise von Tirana in Albanien aus an, wo ich nach der Rückkehr aus dem Kosovo nochmals eine Zwischenstation einlegen musste. Die zweieinhalbstündige Fahrt mit dem Sammeltaxi nach Shkodra im Norden des Landes kostete umgerechnet ganze 2,80 €, lächerlich gegen das, was noch kommen sollte. Denn das war ja nur erst die erste Etappe: Von Shkodra wollte ich irgendwie nach Montenegro rüberkommen – kein Problem, Taxis gab es ja genug. Aufgrund der hohen Spritpreise und meines mangelhaften Verhandlungsgeschicks betrugen die Fahrtkosten bis zur Grenze etwa das Fünffache der bisher zurückgelegten Strecke. An der Grenze selbst wartete schon ein weiterer Taxifahrer, der mich für weitere 20 € durch die Kontrollen und dann bis nach Ulcinj bringen wollte. Kaum waren wir zehn Meter gefahren, wollten die Grenzer die (nicht vorhandene) Lizenz meines Chauffeurs sehen. Ich musste im Auto warten und hatte das Schild mit der Aufschrift „Dobrodošli u Crna Gora!“ („Wilkommen in Montenegro!“) schon vor der Nase. Nach einer Viertelstunde ging es weiter. Wie er die Angelegenheit geregelt hat weiß ich nicht. Wahrscheinlich hatte er etwas von dem Betrag, den er an mir verdienen würde, an den Beamten abtreten müssen. Aber hey, wir sind auf dem Balkan…
Der erste Eindruck von Montenegro war rot. Die rötliche Erde an der Straße nach Ulcinj war durch Verbesserungsarbeiten aufgewühlt, überall waren noch Schlaglöcher. Doch das Taxi bahnte sich seinen Weg geschickt in Richtung Küste, durch die ersten tiefen Täler und vorbei an den spärlich bewaldeten Bergrücken. Von der Küstenstadt Ulcinj selbst sah ich relativ wenig, denn mein Ziel war die „autobuska stanica“. So muss ich mich auf mein schlaues Buch verlassen, das von einem Touristenansturm aus dem Kosovo berichtet, der hier im Sommer einsetzen soll. Die Kosovaren würde eher hier Urlaub machen als in Albanien. Grund? – Die Küste hier soll um ein Vielfaches schöner und sauberer sein.
Mein Reiseziel für diesen Tag war Kotor, was im nördlichen Küstenabschnitt von Montenegro liegt. Ich wusste nicht, wann und wie die Busse fahren würden und verließ mich auf mein Gefühl. Mein Gefühl hat mir aber auch einige Stunden an Wartezeit eingebracht. Außerdem erwiesen sich die montenegrinischen Busse um ein Vielfaches teurer als die auf dem südlichen Balkan. Doch schließlich fuhr ich erst von Ulcinj nach Budva, entlang der atemberaubenden Küste, und dann weiter nach Kotor. Es wurde gerade dunkel, als ich vor der Stadtmauer an der Touristeninformation nah einem Zimmer anfragte und auch gleich weitervermittelt wurde an das örtliche Hostel.
Kotor selbst ist eine Kleinstadt, die man innerhalb ihrer Stadtmauern in fünf bis acht Minuten durchqueren kann. Sie ist sehr aufgeräumt und erinnert irgendwie an Italien. Kein Wunder, die Hafenstadt war vier Jahrhunderte lang im Besitz der Venezianer, an die noch der verfallene mittelalterliche Friedhof außerhalb der Mauern erinnert, der jedoch von niemandem mehr wahrgenommen wird. In den für Balkan-Verhältnisse recht teuren Restaurants finden sich Spezialitäten wie Lignje (gebratene Tintenfische), der berühmte Salata od hobotnice (Tintenfischsalat) und viele andere Fischgerichte. Montenegro ist für seine mediterrane Küche berühmt. Hier ist alles frisch, das Meer liegt vor der Haustür. Ich esse meine traditionellen Meeresfrüchte-Spaghetti, deren Qualität ich seit Jahren in jedem Land ausprobieren muss, das eine Küste hat. In Kotor sind sie sogar so frisch (und fischig), dass es mir schon fast zu viel ist.
Die Stadtmauer umschließt auch die Ruinen einer Festung, die sich in luftiger Höhe auf dem Berg befinden und einen einzigartigen Blick über die Bucht von Kotor bieten. Diese Bucht wird in jedem Reiseführer als ultimatives Highlight Montenegros angepriesen. Und der Reiseführer lügt nicht. Ich hätte mir nie vorstellen können, wirklich einmal hier zu sein, aber der Blick ist traumhaft. Der Aufstieg zur Festung fordert allerdings einige Anstrengung und ist ab der Hälfte gesäumt von Schildern, die vor der Instabilität des alten Gemäuers warnen. Alle hundert Meter wird es eine Stufe gefährlicher. Im März, außerhalb der Saison, ist die Besichtigung noch kostenlos. Während des Sommers werden dem Touristen mitteleuropäische 3 € abverlangt. Oben angekommen blickt man hinunter auf die Bucht von Kotor, die zusammen mit der Stadt und ihrem Hafen umschlossen ist von Bergen, die von Meeresniveau ohne Anlauf die 1.800-Marke erreichen und ihre schneebedeckten Gipfel in der Sonne glänzen lassen. Kotor selbst ist so sehr an den Berghang gepresst, dass die Stadt sich dem Blick fast komplett entzieht. Nur die große Kirche mit ihren zwei Türmen lässt sich ausmachen. Sie erzählt die katholische Geschichte der Stadt, die lange Jahre durch Italiener und Kroaten geprägt wurde. Heute ist die Bevölkerung jedoch mehrheitlich orthodox. Während der osmanischen Jahre des Balkans hat sich Montenegro stets seine Autonomie gewahrt. Da schweifen die Gedanken ein wenig ab, während man auf den ruinösen Überresten der Festung steht, und man malt sich aus, wo wohl die Grenzen der venezianischen Stadt Kotor damals gewesen sein mögen, und wie sich der Gouverneur der Stadt wohl gefühlt hatte, wenn er hier oben stand und auf sein kleines Reich herunterblickte. Unten in der Stadt erzählt das Marinemuseum von der Seefahrergeschichte, zeigt die Wappen der adligen italienischen Familien und bietet eine Reihe von Schiffsmodellen. Als Hafenstadt war Kotor bis ins späte 19. Jahrhundert von Bedeutung und auch darüber hinaus.
Heute treibt es vor allem Touristen nach Kotor. Die meisten von ihnen machen in Budva Strandurlaub, wollen sich die kulturell-historischen Leckerbissen Montenegros jedoch nicht entgehen lassen und kommen so für einen Tagesausflug in die Kleinstadt mit ihren vielen Cafés und den zahlreichen Modegeschäften in den engen Gassen. Man kann den einen oder anderen Souvenirkauf tätigen. Ich schwanke zwischen einer montenegrinischen Wurst vom Markt vor dem kleinen Stadttor oder einem Wein aus dem Supermarkt. Da ich aber nicht den Rest meiner Reise mit einer an meinem Rucksack baumelnden Räucherwurst verbringen will, entscheide ich mich für den Wein und suche im Supermarkt nach zwei Flaschen, die weder deutsche noch englische Beschriftung aufweisen und kann schließlich auch Montenegro zufrieden auf meiner Souvenir-Liste abhaken.
Im Hostel von Kotor treffe ich kurz darauf auch einen angehenden Erdkundelehrer aus Hamburg. Auch er reist durch den Balkan, besucht jedoch bevorzugt Fußballstadien und fotografiert Bahnhöfe. Im Grunde tun wir dasselbe, nur dass ich Museen besuche und Moscheen fotografiere. So hat jeder sein eigenes Interessengebiet. Er ist mit dem Zug von Belgrad aus gekommen und reist weiter nach Bosnien, um in Sarajevo ein Fußballspiel zu sehen. Diese Route von Belgrad aus nehmen viele, fällt mir auf. Ich bin bis jetzt der einzige, der von Süden kommend zu dem Heer der Rucksacktouristen stößt, die sich ihren Weg nach Sarajevo oder Zagreb bahnen.
Mit Tino trinke ich ein (unerwartet teures) Bier in einer montenegrinischen Kneipe und schaue das Europapokalspiel zwischen Schalke 04 und Twente Enschede. Als eingefleischter Schalke-Fan wird er am nächsten Morgen ebenfalls die Festung erklimmen und an den Fahnenmast einen Sticker seines Lieblingsvereins kleben. Ich bin da zum Glück nicht dabei, diese Wanderung habe ich schon hinter mir. Außerdem würde mein Schwabenherz es nicht aushalten, den Schalke 04 an der höchsten und schönsten Stelle Montenegros prangen zu sehen…
Trotz der großen kulturellen Unterschiede zwischen mir und dem Hamburger entschließen wir uns, am nächsten Tag gemeinsam mit dem Bus weiter in Richtung Mostar zu fahren.
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